Heilbronner Stimme, 18.02.2016
Als die Mitgliedschaft 20 Milliarden Mark kostete
Ellhofen Liederkranz feiert sein 140-jähriges Bestehen an diesem Samstag mit einem großen Konzert
Von unserer Redakteurin, Anja Krezer
Einen einwandfreien Leumund musste haben, wer mitsingen wollte. Und eine Aufnahmeprüfung bestehen, bei der die Sangesqualitäten unter Beweis zu stellen waren. Wehe, der Sänger schwänzte eine Singstunde: Dann musste er Strafe zahlen. So nachzulesen in den Vereinsstatuten von 1892. Frauen im Liederkranz?
Damals undenkbar! Heute ist alles anders: Der Liederkranz ist froh um jeden Sänger, und die Frauen sind das Rückgrat des Chores. Heute ist auch etwas anders als in jüngster Vergangenheit: Der Liederkranz kann wieder verhalten optimistisch in die Zukunft blicken. Vor zwei Jahren stand der älteste Verein Ellhofens kurz vor der Auflösung. Jetzt kann er voller Freude an diesem Samstag sein 140-jähriges Bestehen feiern.
Kein Dirigent mehr, kein Vorsitzender, kaum mehr als 20 Sängerinnen und Sänger, und im fortgeschrittenen Alter: Es stand schlecht um den Liederkranz vor zwei Jahren. So schlecht, dass sich ein paar Akteure, darunter Günter Sígloch, an die HSt
wandten, um auf die Not aufmerksam zu machen.
Glücksgriff Inzwischen hat sich der Wind gedreht. August Muhler steht seit Oktober 2014 den Sängern vor. Er gehört zwar nicht zu den Aktiven. „Aber ich komme am Ende jeder Singstunde und kontrolliere, ob alle mitsingen“, sagt der„69 jährige und
lacht. Mit Spiros Mouchagier, als Chorleiter habe der Liederkranz im Januar 2015 „einen Glücksgriff" getan, wie Kurt Schillinger, seit vergangenem Jahr als Vize-Vorsitzender im Amt, findet. „Er hat die Leute wieder motiviert", ergänzt Muhler.
„Es freut mich, wenn ich die Mitglieder sagen höre: „Jetzt ist es wieder schön, zu singen!“ Neuerdings sogar ein wenig auf Englisch, Griechisch und Schwedisch - extra fürs Jubiläumskonzert, das unter dem Motto „Europa“ steht.
Das typische Liederkranz-Liedgut aber ist Deutsch - „kein Rock, kein Pop, sonst alles: vom Volkslied bis zum Schlager“, sagt Schillinger. Der Liederkranz wolle nicht konkurrieren m.it den jüngeren Chören im Weinsberger Tal, sondern hat die Best Agers im Blick: Die aktiven Älteren kurz vor der Rente. Der neue Vereinschef Muhler ist rührig. Unter seiner Regie gab es 2015 einen Tanz in den Mai, ein Sommerfest und einen Jahresausklang. So soll Geld in die Kasse kommen. Wer weiß, vielleicht wird ja aus manchem Festlesbesucher ein Sänger?
Muhler weiß auch über die Jahrbücher Bescheid, die seit 1892 geführt werden, „Der 1876 gegründete Männergesangverein war der Chor der Bauern, Handwerker und Geschäftsleute“, berichtet Muhler. Arbeiter hatten hier nichts zu suchen. Sie vereinigten sich 1922 im Gesangverein Vorwärts. Auf dem Höhepunkt der Inflation kostete der Mitgliedsbeitrag im letzten Quartal 1923 stattliche 20 Milliarden Reichsmark. Weil 1934 alle sozialistischen Vereine verboten wurden, Wechselten einige Vorwärts-Sänger zum Liederkranz. Ende 1945 wurde der reguläre Sangesbetrieb wieder aufgenommen. Seit Anfang der 1950er dürfen auch Frauen mitsingen im Liederkranz.
Die goldene Ära des Vereins mit bis zu 45.Aktiven und 120 Passiven in den 1980er Jahren begann 1959 mit Sepp Keicher. Der Erlenbacher sollte den Chor aushilfsweise leiten. „Er blieb 29 Jahre“, erinnert sich Kurt Schillinger (72). Die Sänger waren bei großen Sängerfesten von Hamburg bis Salzburg dabei. 1997 bekam der Liederkranz die Zelterplakette - „die höchste Auszeichnung, die die Bundesrepublik an Laienchöre zu vergeben hat“, sagt der Vize-Chef stolz. Vorerst letzter Höhepunkt war 2009 die Gründung des Männerchors Spätlese.
Talsohle Dass es nach der Talsohle 2014 wieder. aufwärts geht, verdanken die Ellhofener auch dem Umstand, dass sich der Namensvetter in Affaltrach aufgelöst hat. Einige Sänger sind nach Ellhofen gewechselt, so dass der gemischte Chor nun 34 Mitglieder hat. Schillinger freut sich: „Das hat sich gut angelassen.“ Muhler ergänzt „Wir schauen optimistisch in die Zukunft“.
Termine
Die Jubiläums-Jahresfeier ist am Samstag, 20. Februar, ab 19.30 Uhr in der Gemeindehalle. Der Eintritt ist frei. Neben den Beiträgen des gemischten Chors und des Männerchors Spätlese stehen ein Sketch, eine Tombola sowie Beiträge des Ballettstudios Lindner- Klodt und der Chorgruppe Aufwind aus Biberach auf dem Programm. Singstunde ist immer montags im Bürgerhaus: von 18.45 bis 20 Uhr für die Spätlese, von 20 bis 21 Uhr für den gemischten Chor. Außerdem wird immer am letzten Donnerstag im Monat gewandert. Am 25. Februar führt die Tour zum Heilbronner Jägerhaus. Treffpunkt ist um 11 Uhr am Ellhofener Rathaus. Auch Nichtmitglieder können gerne mitwandern. jaz