Württemberger Kulturmagazin 1/2015
Die «Spätlese-Gang»
Sie sind zehn Mann hoch, Mitglieder in einem Liederkranz im Weinsberger Tal, aber sie treten auch eigenständig bei verschiedensten Veranstaltungen auf und feiern hier Triumphe als «Spätlese-Chor», der die Württemberger Weinwelt zum Klingen bringt.
Text und Foto*: Andreas Seidl
Spätlese trinken, das kann jeder. Spätlese hören, das kann man nur in Ellhofen mit etwas Glück sogar direkt in einem der Weingärten, die das schwäbische Idyll mit sanft-grünem Schwung umgeben. Die Stimmen sind voll, sonor. Unweigerlich kommt einem die Vokabel «inbrünstig» in den Sinn: «Gefüllt das Glas mit edlem Wein, lasst uns vom Besten kosten, auf Neckar, Mosel, Ahr und Rhein und alle Franken prosten ...» Die Mitglieder des Männerchors «Spätlese» haben es zwar hauptsächlich mit dem Wein vom Neckar, Sulm, Kocher und Jagst. Aber treffen kann man sie zum Beispiel in den Weinbergen direkt unter der baumbestandenen Hügelkuppe des Ketzersbergs, die so etwas wie das inoffizielle Wahrzeichen des Ortes ist
- schwäbische Toskana, wie man im Marketing-Deutsch sagen würde. In der Tat: Ein bisschen erinnert die Aussicht schon an das italienische Urlaubsziel vieler Deutschen.
Zu einer kleinen Kostprobe haben sie uns hierher, über die Dächer von Ellhofen, einer Nachbargemeinde von Weinsberg, eingeladen. Die Truppe besteht aus zehn Sängerknaben im besten Alter: Zwischen 56 und 78 Jahre Lebenserfahrung hat jeder, die meisten sind mittlerweile pensioniert. Ein ehemaliger Audi-Ingenieur ist ebenso dabei wie ein Maschinenführer, ein Banker, ein Vertriebsleiter und ein Versicherungsagent. Doch wie gesetztere Herren wirken sie gar nicht, manchmal eher wie eine verschworene Gang von Jungspunden: Auf dem Weinbergweg wird gefrotzelt, es werden Insider-Geschichten ausgetauscht und Witze gerissen über sich selbst und die Welt: «Lieber zu viel gess‘n als zu wenig trunk‘n», sagt Kurt Schillinger und lacht herzhaft. Ob es Aufnahmebedingungen für Neumitglieder gibt? »Nein, die gibt es nicht. Auch nicht vom Alter her, weder nach oben noch nach unten. Wir wollen einfach a bunte Truppe sei, mit viel Spaß bei der Sache, mit Kameradschaft und Geselligkeit», sagt Günter Clapier und stärkt sich mit einem Schluck Trollinger. »Wissen Sie eigentlich, warum wir einen Roten trinken?», fragt Bruno Rudolf. »Wegen der Augen. Dann seh‘n wir besser, wenn das Glas leer ist». Bunt ist auch das Repertoire der lustigen Zehn, die allesamt Mitglieder im traditionsreichen Gesangsverein von Ellhofen sind: Da ist natürlich deutsches Liedgut alter Schule dabei, gern und oft mit dem Bezug zum Wein («Bring mer no a Viertele») - einmal im Monat gibt es dann auch ganz standesgemäß eine «feuchte» Singstunde. Da stehen dann Gospels, Schlager und «Lumpenlieder» Klassiker wie «Bonsoir, Herr Kommissar» oder «Pigalle» von Bill Ramsey, manchmal ganz stilecht mit Melone vorgetragen - auf dem Programm. Komplettiert werden die Auftritte durch die eine oder andere Anekdote, die die Chormitglieder, allen voran ihr inoffizieller Pressesprecher Günther Sigloch, zum Besten geben. In der Region sind sie mittlerweile bekannt und werden gern gebucht - zu Jubiläen, Eröffnungen oder Weinproben. Regelmäßig gehen sie außerdem zum Wandern in die Weinberge - und lassen dabei sogar journalistische Begleitung zu.
Wie kam es eigentlich zu dem Chornamen? «Wir sind hier ja in einer Weinregion, von daher lag so etwas nahe», sagt Kurt Schillinger. Alle Chormitglieder haben Erfahrung in der Weinbergarbeit, einer bewirtschaftet im Nebenerwerb selbst noch eine Rebenparzelle. Die beiden Genossenschaften vor Ort, die Weingärtner aus Grantschen und aus Lehrensteinsfeld (inzwischen beide unter dem Dach der großen Heilbronner Genossenschaftskellerei), beliefern Kunden über die Region hinaus. «Aber das meiste trink’n ma selber», wendet Bruno Rudolf verschmitzt ein. «Derjenige, der dann tatsächlich auf den Namen kam, war der Günther Sigloch. Er hat zsam mit seiner Frau a Flasche Wein getrunk’n - und dann war er da, der Name», sagt Kurt Schillnger. Merke: Eine Württemberger Spätlese führt einfach unweigerlich zur nächsten.
* Da das Originalfoto nicht zur Verfügung steht, wurde es durch ein ähnliches bzw. gleichwertiges ersetzt (Foto: Posovsky).
Der Chor «Spätlese», das sind stimmengewaltige
Sängerknaben im besten Mannesalter.
Ihre liebsten Auftritte haben sie in den Weinbergen,
aber auch auf der Bühne sind sie zu Hause
Weitere Bilder die während des Interviews in den Weinbgergen entstanden sind,
siehe "Fotos" Württemberger 1/2015".